Präventionsprojekt der achten Klasse mit dem „theatertill“ – Artikel aus der LZ
Leopoldshöhe. Sie waren gewalttätig oder haben Gewalt erfahren: Ein Neonazi, der ein asiatisches Geschäft zerlegt hat, eine Schülerin, die eine andere zu Tode gemobbt hat, ein Lehrer, dem aus Frust die Hand ausrutschte, eine Frau, die Narben im Gesicht davontrug, weil sie einer anderen Frau zur Hilfe eilen wollte, ein Türke, dessen Freund Neonazis zum Krüppel schlugen.
Schülern der achten Klassen der Felix-Fechenbach-Gesamtschule haben sie am Mittwoch ihre Geschichten erzählt – Geschichten, wie sie sich jeden Tag ereignen. Und sie haben erzählt, welche Lehren sie daraus gezogen haben – oder auch nicht.
Geschichten von der ganz alltäglichen Gewalt
aus der LZ vom 15. Januar 2015
Wir leben nicht in einer friedlichen Welt. Gewalt kommt überall vor. Wozu das führen kann, hörten Schüler/innen der 8. Klassen der Felix-Fechenbach-Gesamtschule gestern vormittag.
Die Agentur "Mensch – aber wie?" hatte zwei Frauen und drei Männer aufs Podium in der Aula gebeten, um über ihre Gewalterfahrungen zu berichten – nicht in jedem Fall freiwillig. Da war der Neonazi Klaus Lützek, der mit Kameraden einen asiatischen Lebensmittelladen zerlegt hat, weil dessen Chef seine Mutter entlassen hat. Nicole Seider, die zusammen mit einer Freundin eine Mitschülerin in den Tod gemobbt hat, aber unfähig war, ihre Schuld einzusehen. Harald Baumann, ein Lehrer, der Vorzeigepädagoge werden wollte, dem aber aus Frust über die Ignoranz und Arroganz seiner Schüler die Hand ausrutschte. Karin Wollschläger, die einer Frau helfen wollte, die von zwei Männern geschlagen wurde und dafür Prügel kassierte, und Narben im Gesicht zurück behielt. Ümit Yildiz, dessen Freund von Neonazis zum Krüppel geschlagen wurde, ohne dass jemand einschritt.
Ümit hielt Gewalt für menschlich. Die Art, wie er die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies schilderte, sorgte für etliche Lacher im jungen Publikum:"Der liebe Gott war der erste, der uns auf die Schnauze gehauen hat – wir haben das nur nachgemacht." Klaus Lützek hingegen hielt es für ganz selbstverständlich, Gewalt anzuwenden, wenn er nicht zu seinem Recht kommt. Er pöbelte das Publikum an und geriet ob seiner Neonazi-Sprüche derart in Streit mit Ümit, dass dieser erbost den Saal verließ. Katrin Wollschläger bekundete, in Zukunft nicht mehr helfen zu wollen – sie hatte genug Schläge für ihre Hilfsbereitschaft kassiert.
Die Schüler hatten nach dem Statement Gelegenheit, mit den Fünfen zu sprechen, sich ein eigenes Bild zu machen und einen Bewertungsbogen auszufüllen. Während Ümit und Lützek dicht umlagert waren, traute sich kaum jemand an die abweisende Nicole heran. Im Ergebnis hatten Ümit, Katrin und Harald Baumann die höchsten Sympathiezahlen und kamen auch als Menschen rüber, die Recht von Unrecht zu unterscheiden wissen. Nicole und der Neonazi hingegen fielen als extrem unsympathisch durch, die Schüler attestierten ihnen mangelndes Unrechtsbewusstsein und gaben ihnen auch deutliche Ermahnungen mit auf den Weg.
Dann gestand Nicole, dass die Schüler soeben ein Theaterstück gesehen haben. Die Personen seien frei erfunden, die erzählten Geschichten aber alle wahr und hätten sich so ereignet. Viele Fragen stürmten auf die Darsteller ein – etwa, wie man sich so fühlt, wenn man den Neonazi spielen muss, oder warum es gerade diese fünf Geschichten waren. "Weil so etwas jeden Tag überall passiert", war Lützeks Antwort.
Hinweis: Dieser Artikel stammt von unserer alten Webseite. In einigen Fällen kann es zu Darstellungsfehlern kommen.